Reisetagebuch

Die Arena des Santa Rosa Roundup in Vernon, Texas
Die Arena des Santa Rosa Roundup in Vernon, Texas

Auf zum Santa Rosa Roundup

Vernon liegt am Highway 287, den ich schon einmal von Fort Worth hierher nach Amarillo gefahren bin. Ich bin also genaugenommen schon einmal an Vernon vorbeigefahren. Damit ich nun nicht zweimal die gleiche Strecke zurückfahre, nehme ich einen Umweg und fahre erst ein ganzes Stück nach Süden, um dann parallel zu der bereits gefahrenen Strecke des Highway 287 nach Vernon. Die 350 Kilometer fahre ich in vier Stunden.

 

Zurück auf dem Highway zum Santa Rosa Rodeo in Vernon. Sehr viel Straße vor mir, unendlicher Himmel über mir und Land bis an den Horizont um mich herum.
Zurück auf dem Highway zum Santa Rosa Rodeo in Vernon. Sehr viel Straße vor mir, unendlicher Himmel über mir und Land bis an den Horizont um mich herum.


Ich achte darauf, möglichst immer neue Strecken zu fahren, denn wie ihr wisst, ist der Weg für mich auf meinen Reisen das eigentliche Ziel. Ich lasse unterwegs eine-Tracking-App mitlaufen, die aufzeichnet, wo ich schon überall auf der Welt war. Das mache ich nun seit etwa drei Jahren und es ist schon einiges zusammengekommen. Die aufgezeichneten GPS-Daten übertrage ich auf eine Weltkarte. 

 

In Vernon angekommen checke ich zunächst in mein Motel ein, dann fahre ich in den Ort hinein, um etwas zu Mittag zu essen. Ein winziges Restaurant mit nur drei Tischen suche ich mir aus. Hier gibt es einen „Chili Burger“. Den bestelle ich mir, denn ich missverstehe, was mit Chili gemeint ist. Er ist nicht etwa besonders feurig wegen Chili-Schoten, sondern er hat Chili-Soße drauf, wie man sie aus dem Chili con Carne-Eintopf kennt. Das ist beim Essen eine ziemliche Sauerei. Aber immerhin bin ich nun ausreichend gestärkt für die Eröffnungsparade der Santa Rosa Roundup-Rodeo-Tage. Der Umzug findet auf der Hauptstraße statt. Hier hat sich vor der Geschäftsstelle der örtlichen Handelskammer schon die lokale Prominenz eingefunden. Die besteht aus dem Bürgermeister und dem Vorsitzenden der Handelskammer von Vernon. Letzterer trägt einen riesigen Hut und einen dicken Hufeisen-Schnurrbart, kaut Kautabak und seine Jeans stecken in den Stiefeln. Hier herrscht kein Zweifel, wer hier im Ort das Sagen hat.

Formationsreiter – der sogenannte Palomino Club
Formationsreiter – der sogenannte Palomino Club

Eröffnet wird die Parade von einigen Streifenwagen, der Polizei, auch Militärfahrzeuge fahren mit. Im Anschluss tragen zwei Reiter die Flagge der USA und des Bundestaates Texas. Dann folgen die Löschfahrzeuge der freiwilligen Feuerwehr, obendrauf sitzen die High School-Schüler. Es folgt eine Schülerkapelle, die noch nicht so gut im Gleichschritt marschieren können. Es folgen abwechseln Motivwagen, auf denen Kostümierte berühmte Persönlichkeiten darstellen, von denen mir allerdings kaum eine bekannt ist. Mit dabei ist auch der Bibelkreis zu Pferde, was wohl ein sehr texanischer Verein ist.

Löschfahrzeuge der freiwilligen Feuerwehr, obendrauf sitzen die High School-Schüler
Löschfahrzeuge der freiwilligen Feuerwehr, obendrauf sitzen die High School-Schüler

Als der Festumzug zu Ende ist, machen sich alle auf zur Rodeo-Arena außerhalb der Stadt. Ein lange Wagenkolonne fährt die Landstraße entlang. Der Parkplatz ist eine große, holperige Wiese. 
Bevor es mit den Wettkämpfen losgeht, richtet der Lions Club von Vernon ein Barbecue in einer großen Reithalle aus. 

  Bevor es mit den Wettkämpfen losgeht, richtet der Lions Club von Vernon ein Barbecue in einer großen Reithalle aus.

Bevor es mit den Wettkämpfen losgeht, richtet der Lions Club von Vernon ein Barbecue in einer großen Reithalle aus.

Es gibt eine riesige Portion Pulled Pork zweierlei Art und zahlreiche Beilagen. Der Gentleman bei der Essensausgabe stellt einen leichten Akzent bei mir fest und ich erkläre meine Deutschstämmigkeit. Das ist eine große Freude für ihn und man heißt mich herzlich willkommen. Heute haben auch meine in der letzten Folge in Cavender’s Boot City erworbenen Cowboy-Stiefel ihr Debut.

Ein Sprichwort heißt “Dirt is cowgirl glitter.” – also in etwa, „Dreck ist das Glitzer der Cowgirls.“
Ein Sprichwort heißt “Dirt is cowgirl glitter.” – also in etwa, „Dreck ist das Glitzer der Cowgirls.“

Und sie sind gleich auf dem richtigen Boden, denn der lose, staubige Reitboden verlangt das passende Schuhwerk. Holzfässer dienen als Tische. Von hier kann ich auch gut die anderen Besucher beobachten. Ich sehe auch Männer, die offen ihre Pistolen am Gürtel tragen. Offenbar sind sie aber Vertreter der Staatsgewalt, denn sie tragen an ihrer Kleidung auch eine Dienstmarke. Ansonsten machen alle Menschen einen zivilen Eindruck. Nachdem essen, betrete ich die Rodeo-Arena. Unten gibt es zahlreiche Essenstände, oben auf der Tribüne ist noch reichlich Platz. Rodeo ist hier eine Veranstaltung für Familien, der Dresscode ist definitiv dem Western-Stil unterworfen. Nur Kleinkinder tragen hier keine Cowboystiefel. Ich sehe sogar einige Mädels, die das gleiche Modell tragen, wie ich und freue mich, dass ich nicht ganz daneben gegriffen habe. Das Rodeo wird eröffnet von den Reitern mit den Flaggen der USA und Texas. Dann folgt eine Gruppe Formationsreiter – der sogenannte Palomino Club. Sie waren auch schon bei der Eröffnungsparade dabei, aber erst jetzt zeigen sie, was sie draufhaben. Ich hätte erwartet, dass um die amerikanische Nationalhymne noch viel mehr Aufheben gemacht wird, aber hier ist es wohl Routine, bei jeder Veranstaltung die Hymne zu spielen und dazu aufzustehen, so dass der Stadionsprecher nicht mal extra drum bitten muss. Es folgt eine Schweigeminute für den Amoklauf vor einem Einkaufszentrum vor zwei Wochen in Dallas.
Dann beginnt auch schon die Disziplin des Bullenreitens. Es gilt als der spektakulärste und gefährlichste Wettbewerb bei einem Rodeo.
Der Reiter des Stieres hat die Aufgabe, sich für mindestens 8 Sekunden auf dem Rücken des Tieres zu halten, bevor er abgeworfen wird. Zu Beginn steigt der Bullenreiter auf die Umzäunung, lässt sich auf den eingeklemmten Bullen nieder und greift ein flaches, um den Körper des Tieres befestigtes Seil. Der Bulle trägt außerdem einen Gurt um die Flanke. Nach dem Ruf des Reiters, er sei nun bereit, wird das Gatter geöffnet, der Stier stürmt in die Arena. Nun versucht der Reiter, für mindestens acht Sekunden seine Position beizubehalten, wobei er eine Hand in die Luft strecken muss.

Der Stier richtet sich auf, bockt, tritt, dreht sich und rollt den Rücken in der Bemühung, den Reiter abzuwerfen. Ein lauter Summton verkündet die Erfüllung und Beendigung des Wettbewerbs. Dann springt der Reiter ab. Eine Bewertung erfolgt mit einer Punktzahl von 0 bis 100 Punkten durch normalerweise zwei Richter, die sowohl die Aggressivität und Beweglichkeit des Stieres, als auch die Haltung und die Kontrolle des Probanden über den Stier bewerten.
Als nächstes folgt das Bronc Riding, also das klassische Reiten eines gesattelten Wildpferdes. Dabei klettert der Reiter auf ein Pferd, das in einem kleinen Gehege festgehalten wird. Wenn der Reiter bereit ist, wird das Tor des Geheges. Das Pferd bricht heraus und beginnt zu bocken. Der Reiter versucht acht Sekunden lang auf dem Pferd zu bleiben, ohne das Pferd mit der freien Hand zu berühren. Beim ersten Sprung aus dem Gehege muss der Reiter das Pferd „markieren“. Das bedeutet, dass die Absätze seiner Stiefel das Pferd über der Schulterspitze berühren müssen, bevor die Vorderbeine des Pferdes den Boden berühren. Ein Reiter, der es schafft, einen Ritt zu absolvieren, wird auf einer Skala von 0–50 bewertet, und das Pferd wird ebenfalls auf einer Skala von 0–50 bewertet. Die Gesamtbewertung des Ritts ergibt sich aus der Summe dieser Einzelbewertungen: Bewertungen in den 80ern gelten als sehr gut, in den 90ern gelten sie als außergewöhnlich. Ein Pferd, das spektakulär und effektiv bockt, erzielt mehr Punkte als ein Pferd, das geradlinig ohne nennenswerte Richtungsänderungen bockt.
Das Bullenreiten und das Bronco Reiten, sind für die Reiter nicht ohne. Viele tragen Schutzwesten, denn wer vom Pferd stürzt, und von einem Huf getroffen wird, kann lebensgefährliche Verletzten davontragen. Ein Reiter wird tatsächlich abgeworfen und mit einem Hufschlag am Kopf gestreift. Ein Raunen geht dabei durch die Menge.

Dann folgt ein Wettbewerb, der augenscheinlich für die Tiere belastender ist, als für die Cowboys. Das Calf Roping, auf Deutsch nennt es sich „Kälberfangen“. Dabei bricht ein Kalb in vollem Lauf in die Arena und ein Reiter galoppiert hinterher, muss eine Lasso-Schlinge um den Hals des Kalbs werfen, aus dem Sattel springen, dass Kalb auf die Seite wuchten und drei Beine in möglichst kurzer Zeit zusammenschnüren. Das alles geschieht in etwa 15 Sekunden und somit mit großer Geschwindigkeit. Das sieht mitunter ziemlich brutal aus, denn wenn sich die Lasso-Schlinge zuzieht, wird das Kalb aus vollem Lauf gestoppt und mit dem Kopf nach hinten gerissen, ehe es sich versieht, wird es gepackt, auf seine Flanke gewuchtet und streckt nur einen Wimpernschlag später die gefesselten Beine in die Luft. So schnell kann ich mir nicht mal die Schuhe binden.
Als ich ein Video davon gepostet habe, kommentierte eine Nutzerin, dass sie nicht verstehe, wie man an diese Tierquälerei gut finden könne. Mit dieser Kritik ist sie nicht die einzige und tatsächlich gibt es immer wieder Untersuchungen, ob und wie viele Kälber bei dieser Disziplin zu Schaden kommen. Die Verletzungsrate reicht dabei je nach Studie von 0,0004 bis 0,07. Das heißt, dass bei vielen tausend Tieren nur wenige Dutzend so verletzt werden, dass sie tierärztlich behandelt werden müssen. Je nach persönlicher Haltung kann man das viel oder wenig finden. In jedem Fall ist es außerhalb der Rodeo-Arenen in der Viehzucht, beim Zusammentreiben der Kälber auf dem Land nicht selten geübte Praxis du traditionelles Cowboy-Handwerk. Ich bewundere ihre Reitkunst und Geschwindigkeit, aber ich wollte auch nicht dieses Kälbchen sein.

Bislang waren alle Wettbewerbe, Männerdisziplinen, Frauen gab es nur in den Pausen zu sehen. Bei einem texanischen Rodeo staksen aber keine jungen Frauen in Bikini und High Heels im Kreis, sondern die Mädels hier lassen im Strass-Overall mit beiden Händen brennende Bullenpeitschen knallen. Das ist auch eine Form von Empowerment. Darüber hinaus zeigen sie atemberaubende Kunststückchen zu Pferde, wenn sie etwa unter dem Hals oder unter dem Bauch der Pferde durch die Arena galoppieren.

Ein Sprichwort heißt “Dirt is cowgirl glitter.” – also in etwa, „Dreck ist das Glitzer der Cowgirls.“ Bei einem Rodeo geht es also staubig zu und man darf nicht pingelig sein. Weiblicher Anmut steht das trotzdem nicht im Wege.
Das beweisen die Cowgirls beim nächsten Wettbewerb. Dem Barrel Race, das ihr schon aus Folge 23 „Wo der Westen beginnt“ aus dem Cowtown Coliseum von Fort Worth kennt.

 

Bei dieser Disziplin werden drei Fässer in einem Dreieck in der Arena aufgestellt. Die Reiterin jagt im Galopp in das Stadion auf das erste Fass, umrundet es, galoppiert so zu den beiden anderen und umrundet auch diese und treibt ihr Pferd danach so schnell wie möglich zurück aus der Arena. Wer die Fässer so eng wie möglich umreitet du keines dabei umstößt und dann so die schnellste Zeit erreicht, gewinnt. Hier zählen perfektes Zusammenspiel und Harmonie von Ross und Reiterin. Ich beneide diese Mädels um ihre Reitkunst. Die meisten von ihnen sind sicherlich auf einer Ranch aufgewachsen und haben das Reiten gelernt kurz nachdem sie Laufen konnten.
Der Abend bricht herein und längst bin mit meinen Sitznachbarn auf der Tribüne ins Gespräch gekommen. Ein Schwarzer, ebenfalls in Cowboystiefeln, sitz hinter mir und kommentiert das Geschehen unten auf dem Platz mit großer Fachkunde.
Ich bin allerdings noch im Laienstadium und kann kaum erkennen, wann und warum ein Wettbewerb endet und ein neuer beginnt und wer den letzten gewonnen hat. Aber natürlich sehe ich, wer sich gut und weniger gut geschlagen hat.
Für heute lasse ich es gut sein und die Erlebnisse dieses Rodeo-Tages sacken. Das Santa Rosa Roundup geht über vier Tage und ich bin morgen auch wieder dabei.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.