Im Coast Starlight-Zug sitzt in meiner Reihe ein Pärchen mit einem kleinen Mädchen, dass sich leider schon um halb sieben lautstark meldet und meinen Schlaf beendet. Das ist definitiv zu wenig Nachtruhe für mich gewesen. Ohnehin gibt es morgens im Zug immer mehrere Durchsagen aus dem Speisewagen, die den Ablauf des Frühstücks für die Gäste der 1. Klasse durchsagen und mitteilen, wann sich alle übrigen aus der normalen „Coach-Klasse“ dazu setzen dürfen. Zwanzig Dollar werden für das Essen im Speisewagen aufgerufen, für das Abendessen sogar 45 Dollar. Das ist mir zu viel. Immerhin habe ich noch eine halbe „All meat“-Pizza von meinem gestrigen Restaurantbesuch in Sacramento dabei. Ich zögere dieses Frühstück bis neun Uhr hinaus und verspeise sie dann erst. Danach ist die kleine Familie nebenan eine Weile irgendwo im Zug unterwegs. Es ist ruhig und die Pizza hat mich ausreichend schläfrig gemacht, so dass ich ohne Probleme noch einmal tief und fest bis 12 Uhr schlafe.
Der Zug ist gerade im Begriff Kalifornien zu verlassen und in den Bundestaat Oregon hineinzufahren. Die Landschaft unterscheidet sich deutlich, denn hier gibt es nicht mehr nur bergige Kiefernwälder sondern mit einem Mal sehr viel Wasser. Große See und Flüsse unterbrechen jetzt die Wälder. Als Bieber würde man wohl gerne hier leben wollen.
Verstörend ist, dass es auf diesem Streckenabschnitt ein Vancouver gibt. Dieser Umstand hat ich bereits mehrfach erschreckt. Ich möchte nämlich nach Vancouver in Kanada. Es gibt aber auch ein kleineres Vancouver im US-Bundestaat Washington. Wen man diesbezüglich nicht alle Sinne beisammen hat, kann es passieren, dass man im falschen landet.
Auf der Fahrt durch Oregon komme ich dazu einiges abzuarbeiten, denn ich habe fast immer Internetverbindung während der Fahrt. Mein Fahrtziel für heute ist Seattle. Es ist gleichzeitig auch das Ende meiner Bahnreise durch die USA. In Seattle werde ich im Green Tortoise Hostel für zwei Nächte im Schlafsaal mit Stockbetten unterkommen. Es ist das Memorial-Day-Wochenende in des USA und alle Hotels haben zu den sowieso schon hohen Zimmerpreisen noch einen Feiertagsaufschlag draufgelegt. Von Seattle werde ich dann mit dem Bus das kurze Stück ins „richtige“ Vancouver weiterreisen. Mit meinem USA Rail Pass durfte ich 10 Streckensegmente kreuz und quer durch die USA fahren. Neun davon habe ich mit der Busfahrt nach Vancouver verbraucht.
Überpünktlich trifft mein Zug in Seattle ein, fast 20 Minuten früher. Im Bahnhofsgebäude gibt es eine Gepäckausgabe. Diese Tatsache allein ist schon bemerkenswert, denn bei uns in Deutschland gibt es sowas ja nun einmal nicht. Darüber hinaus ist es noch eine schöne Gepäckausgabe, die die der Flughäfen in den Schatten stellt.
Es funktioniert reibungslos und mein Koffer ist nach wenigen Minuten da. Es ist eine Meile Fußmarsch zu meinem Hostel. Ich schaue nach, was ein Uber-Taxi kostet. In Texas war das auch auf langen Strecken immer sehr günstig und kostet etwa sieben Dollar. Hier schaue ich in der Uber-App nach und es soll für die eine Meile geradeaus über 10 Dollar kosten. Ich habe schon festgestellt, dass mich seit ungefähr einer Woche der Sparfuchs gebissen hat und ich sehr auf das Geld achte, wo ich in Texas noch sehr großzügig damit war. Das veranlasst mich auf die Fahrt mit dem Uber zu verzichten und stattdessen zu Fuß mit meinen beiden Gepäckstücken die hügelige Strecke zu meinem Hostel zu laufen. Es war die falsche Entscheidung, denn es dauert viel länger als geplant und für jeden zurückgelegten Block muss ich zweimal Pause machen. Zu allem Überfluss laufe ich auch noch einen Block zu weit.
Der Check-In an der Rezeption der Backpacker-Herberge ist freundlich. Aber es viel los, denn heute Abend gibt es Freibier und das wird an der Rezeption ausgeschenkt. Auf meinen Solo-Reisen trinke ich grundsätzliche keinen Alkohol, ansonsten könnten die sich hier auf etwas gefasst machen. Ich komme in einem Vierbettzimmer unter und schlafe oben. Es dauert einen Moment, bis ich mich arrangiert habe, denn auf dieser reise ist es das erste Hostel, in dem ich übernachte. In den Motels in Texas hatte ich immer alles im Zimmer und während der Zugreise hatte ich alles Notwendige in der Kühlbox zu meinen Füßen. Nun muss ich mir überlegen, was ich oben in meinem Bett griffbereit brauche und was ich unter den Betten im Stauraum einschließen sollte.
Das erste Mal seit vier Tagen ziehe ich nun im Duschraum auch meine Kleidung und vor allem die Cowboy-Stiefel aus. Es ist herrlich und die Dusche tut gut.
Das Stockbett ist von der einfachsten Sorte und die Matratze nicht breiter als die in einer Schiffskoje. Doch vor dem Hintergrund, dass ich seit mehreren Nächten nicht mehr in einem Bett in der Horizontalen geschlafen habe, fühlt es sich großartig an. Nach nur wenigen Minuten bin ich eingeschlafen.