Reisetagebuch

Italienische Reise

Wir hatten beide genau gewusst, dass „zwanzig nach neun“ eine Arbeitshypothese war. Sie bedeutete, dass wir unausgesprochen als wirkliche Abfahrtszeit neun Uhr anpeilten und uns einen Puffer einräumten. Als mein Bruder und ich dann von zu Hause losfuhren, war es fünf nach halb zehn. Hinter uns schwang der Bootsanhänger aus der Einfahrt auf die Straße. Beide spitzen wir die Ohren, um verdächtige Geräusche so früh wie möglich zu hören, die bedeuteten, dass wir trotz gemeinsamer eingehender Inspektion am Anhänger noch etwas übersehen hatten. Das Boot und der Auflieger waren seit Saisonende im letzten Jahr nicht mehr bewegt worden. Äußerlich ist nicht immer abzusehen, ob der Winter nicht doch am Material genagt hatte, dass nun bei der ersten groben Inanspruchnahme seine Schwächen offenbaren würde. Zu unserem Ziel dem Comer See in Norditalien führen mehrere Wege, teilte uns Google Maps mit. Alle nannten als ihre Arbeitshypothese in etwa siebeneinhalb Stunden Fahrzeit. Tatsächlich würden wir nach zehn Stunden Autofahrt unseren Campingplatz am Rande der Ortschaft Gera Lario erreichen.


Durch den Anhänger war unsere Reisegeschwindigkeit von vornherein auf 80 Kilometer pro Stunde begrenzt und wir brachen zu Beginn des Wochenendes auf. Wie viele andere auch. Die begegneten uns jedoch nicht so massiert, dass sich daraus ein Stau entwickelt hätte und über die Autobahnen 5 und 6 rollten wir auf der rechten Spur in den Süden.
Erst am Gotthard-Tunnel standen wir eine halbe Stunde im Stau, denn hier werden die Fahrzeuge nur blockweise in die Röhre hineinfahren gelassen, damit es in ihrem Inneren nicht zum Stillstand kommt. Mein Bruder sprach an, dass man sich klar machen müsse, dass wir durch einen Berg fuhren und über uns Millionen Tonnen Gestein ruhten. Ich versuchte es, aber die Vorstellung wollte in mir keine majestätischen oder wenigstens beängstigenden Gefühle auslösen. Es war ein Autobahntunnel.

Als wir wieder das Tageslicht sahen, waren wir merklich im Süden und bald auch in Italien. Der Luganer See ermutigte uns, indem er uns sehen ließ, weshalb sich die nun folgende Kurverei an engen Uferstraßen lohnen würde. Immer wieder entfaltete sich ein herrlicher Blick auf den See, die malerischen Gebäude an seinem Ufer und die darüber thronenden Berge. Schließlich erreichten wir auch den Comer See, schlängelten uns an seinem Westufer nach Norden und lauerten dabei auf eine Tankstelle, in die wir möglichst unproblematisch mit unserem Gespann einfahren konnten. Die zweite sich bietende Gelegenheit nutzen wir, betankten Auto, Boot und Reservekanister und konnten schon wenige Kilometer später vor der Schranke des Campingplatzes „Camping au Lac“ ein vorletztes Mal halten. Unsere parat gelegten Sätze auf Italienisch, mit denen wir zu erklären gedachten, dass wir heute Nacht das Boot ausnahmsweise auf dem Campingplatz abstellen, es morgen aber bestimmt im Kommunalhafen zu Wasser lassen wollten, brauchten wir nicht. Der freundliche, ältere Platzwart sprach Deutsch. Die wenigen Formalitäten, die es auf einem Campingplatz überhaupt gibt, waren schnell erledigt, dass Boot abgehängt, die Hütte aufgeschlossen und in Besitz genommen. Wir luden unser Gepäck und die mitgebrachten Vorräte aus und ich begann, mitgebrachte italienische Penne mit mitgebrachter Bolognese-Sauce aus dem Glas in original italienischer Umgebung zuzubereiten. So bekamen wir, wenn auch erst nach neun Uhr abends, immerhin noch etwas Ordentliches in den Bauch. Es schmeckte köstlich, sättigte uns und machte gleichzeitig Hunger auf noch mehr richtiges Italien.

Related Articles

Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.