Reisetagebuch

Litauen: Kontroverse und Harmonie

Heute ist der Tag der Abschlusszeremonie auf dem deutschen Soldatenfriedhof von Klaipėda/Memel. Es wird aber auch ein Tag der Kontroverse werden.

Ich weiß nicht, ob ich es als Zeichen besonderer Wertschätzung oder als Zusatzdienst einordnen soll. Jedenfalls bin ich mit den beiden Bundeswehrsoldaten und einem Kollegen heute eingeteilt, schon zwei Stunden vor allen anderen auf den Soldatenfriedhof zu fahren, um dort die Verköstigung unserer Gäste vorzubereiten. Ich habe mich aber längst an das frühe Aufstehen gewöhnt und auch heute wache ich wieder von selbst um halb sieben auf. An unserer Arbeitsstelle angekommen, bin ich einmal mehr erstaunt, wie dreckig hier alles ist. Der Waldboden um uns herum ist lose und fein. Seit über einer Woche hat es nicht geregnet. Auf allen Oberflächen liegt eine schwarze , schmierige Staubschicht. Wischt man sie weg, ist wenige Augenblicke wieder alles dreckig. Unsere Schritte über den Boden reichen dafür aus, um Staub aufzuwirbeln.

Morgens wie ein Kaiser...

Wir beginnen dutzende Baguette-Stangen aufzuschneiden und mit Margarine zu bestreichen. Auf jedes Stück wird dann ein Blatt Salat gelegt und ein Stück Wurst oder Käse. Wir haben noch Wurst übrig, als alles belegt ist. Doch auf jedes Canapé soll nur eine Scheibe. Den Rest schmeißen wir weg. Das tut mir sehr leid, denn ich entsorge Lebensmittel grundsätzlich nur dann, wenn sie verdorben sind. Auch am Abend werde ich wieder vor dem Dilemma stehen, denn zum Abendessen erscheinen nicht alle aus unserer Gruppe. Ein Portion bleibt übrig und obwohl ich der immer gleichen Zusammenstellung des Abendessens längst überdrüssig bin, lasse ich mir die übriggebliebene Portion geben.

Ich esse hier viel zu viel. Schon das Frühstücksbuffet nutze ich für eine ordentliche und herzhafte Mahlzeit. Morgens wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettelmann, soll man essen. Über die ganze Zeit habe ich aber hier zu kaiserlich gegessen. Bei der nächsten Reise werde ich das japanische Ernährungsprinzip des Hara Hachi Bu anwenden: nur so viel essen, bis man keinen Hunger mehr hat.

Canapés für die Abschlussfeier
Häppchen für die Abschlussfeier des Arbeitseinsatzes

Unsere Appetithäppchen sind nun fertig. Für etwa 40 Gäste haben wir 300 Stück. Das wird wohl langen. Zusätzlich gibt es auch noch große Obststeller und Gebäck.

Uniformentreffen

Um 11 Uhr beginnt die Abschlusszeremonie des Arbeitseinsatzes. Unser deutscher Unterstützer hier vor Ort, ein pensionierter Marinesoldat, ist in seiner Uniform erschienen. Sein Nachbar, ein pensionierter Hubschrauber-Pilot der US-Marines, ebenfalls. Auch der Chef der litauischen Marine ist mit einer dreiköpfigen Abordnung da. Ich finde Uniformen schon immer toll und sehe mir unsere Gäste mit entsprechender Freude.

Heute ist es wieder sehr warm. Wir hatten bereits gestern besprochen, dass ich für unsere ganze Gruppe Film- und Fotoaufnahmen mache, damit nicht zu viele Leute bei der Zeremonie mit ihren Handykameras für Unruhe sorgen. Ich soll mit dem Handy von Bodo, unserem Einsatzleiter, fotografieren. Gleichzeitig möchte ich alles mit meiner GoPro-Kamera filmen. Die steckt in einem besonderen Rahmen mit Mikrofon, so dass ich einen besseren Ton unter den Filmaufnahmen habe.

Die Veranstaltung beginnt und Bodo hält seine Grußworte. Dann spricht der Bürgermeister von Klaipėda und lässt sich durch die mitgebrachte Dolmetscherin übersetzen. Der deutsche Honorarkonsul Arunas Baublys hält sich sehr kurz.

Dann spricht Werner als Vertreter für die Teilnehmer des Arbeitseinsatzes. Er hatte mir schon angekündigt, dass er nicht nur schmeichelhafte Worte wählen wird. Er hat sich über manche Teilnehmer wohl geärgert, die aus seiner Sicht mit weniger Engagement gearbeitet hätten. Ich hatte ihn gebeten, seine Rede um der Harmonie willen etwas zu entschärfen. Sie war jetzt  tatsächlich etwas allgemeiner gehalten, ohne konkreten Vorwurf an namentlich Genannte. Das führte im Nachhinein jedoch nur dazu, dass sich auch Leute angesprochen fühlten, die zwei Wochen lang in großer Bescheidenheit die mühsamsten Arbeiten erledigt hatten.

Ich selbst kann frei heraus bekennen, dass ich noch gestern morgen eine Weile im zum Sichtschutz hochkant gestellten Schubkarren gesessen habe. Nicht zum Müßiggang, sondern um unsere Arbeit hier in Wort und Bild zu dokumentieren.

Ohnehin bin ich der Meinung, dass gerade die Vielfalt der Teilnehmer und ihrer Fähigkeiten die große Stärke ist. Natürlich können solche, die noch mehr in Saft und Kraft stehen, einen gleichmäßigeren und  größeren Beitrag zum Gesamtergebnis leisten. Andere verstehen es aber nun einmal weder zu schweißen noch zu betonieren und müssen sich ihrerseits Aufgaben suchen, die zu ihrem Können und ihrer Fitness passen. So habe ich beispielsweise großen Respekt vor meinem Kollegen Alfred, der mit 81 Jahren zum vierzigsten Mal an einem Freiwilligen Arbeitseinsatz des Volksbundes teilnimmt.

Notfalls im Liegen oder auch mit den Armen über dem Kopf und meist ohne Sonnenschutz hat er mit einem Lackstift die Buchstaben auf dem Eingangsstein zum Friedhof und die Namen der Gefallenen des Ersten Weltkriegs nachgezogen. Unbeirrt ist er dran geblieben, hat ohne Unterlass daran gearbeitet und wurde mit seiner Arbeit schließlich fertig. Das ist eine Aufgabe, die ich ungern übernommen hätte und so erfüllt mich sein Engagement und das Ergebnis seiner Arbeit genauso sehr, als wäre es mein eigenes gewesen.

GoPro 10 lässt mich im Stich

Bei Sekunde 26 von Werners Rede blieb die Kamera hängen. Das rote Aufnahmelicht blinkte noch, aber die Aufnahmezeit lief nicht mehr weiter. Ich fühlte am Rahmen der Kamera und der war heiß. Wahrscheinlich blieb die Kamera deshalb hängen. Wärme ist eine große Schwachstelle bei den GoPro-Kameras. Zu warm beim Laden, zu warm beim Filmen. Dadurch ist die GoPro sehr unzuverlässig. Ich werden an anderer Stelle etwas dazu schreiben.

Die Gedenkzeremonie nimmt ihren Fortgang, am Ende werden die litauische und die deutsche Nationalhymne gespielt. Dann bekommen alle, die wollen, eine weiße Nelke und können sie an Orten auf dem Friedhof ablegen, wo sie möchten. Ich lege meine am Epitaph der Gefallenen der Memeler Maurerzunft ab.

Nun beginnen wir mit dem Abbau unseres Versorgungsbereiches. Dort, wo die Zelte gestanden hatten, säen wir Rasensamen aus. Es ist mehr eine Geste der Dankbarkeit, als eine gärtnerische Leistung, die tatsächlich grünen Rasen hervorbringen wird. Neben dem Friedhof liegt nämlich das Betriebsgelände eines Autoaufbereiters. Mit einem Motorgebläse pustet der jeden Morgen den Staub von seinem Hof. Wir hielten das für übertrieben, wenn wir ihn so dabei beobachteten. Allerdings ist er ein hart arbeitender Mann, der mit seinen beiden Angestellten von morgens bis abends konzentriert Fahrzeuge auf Hochglanz poliert. Naturgemäß legt er also viel Wert auf Sauberkeit. In den ersten Tagen unseres Arbeitseinsatzes hatte es mal eine verbale Auseinandersetzung mit ihm gegeben, als ich mit dem Kettenlaufwerk des Mini-Baggers das Pflaster verkratzt hatte. Trotzdem erklärte er seine Wertschätzung für unsere Arbeit, doch alles kaputt fahren ginge nicht. Er hatte vor sieben Jahren schlechte Erfahrungen mit dem Umbettungskommando gemacht. Die hatten wohl eine ziemliche Unordnung und auch einige Schäden hinterlassen.

Wir sind aber die Guten und haben deshalb den Anspruch an uns, alles sauberer zu hinterlassen, als wir es vorgefunden hatten. So ist es nun auch und als wir alles zusammengepackt haben und in den Bus steigen, kommt er herüber und applaudiert uns. Das freut mich sehr, denn gegen mein Baggerfahren hatte sich sein Groll gerichtet. Natürlich konnte ich letzte Woche nichts dafür, denn ich hatte ja den Auftrag Bagger zu fahren und ein Kettenfahrzeug wühlt nun einmal den Untergrund auf. Ich glaube, dass dem Planer des Volksbundes nicht ganz klar war, was der Einsatz von Baufahrzeugen für die in gutem Zustand befindlichen Wege bedeuten würde.

Nun ist unsere Arbeit hier getan und es ist viel erreicht worden. Gedanklich sind einige andere Kollegen und in ich schon in Italien. Denn bereits in einer Woche werden sich Werner, Bernd, Alfons und ich aufmachen zum Futa-Pass und dort zum  riesigen deutschen Soldatenfriedhof auf einem Berg im Apennin fahren. Dort findet nämlich dann schon der nächste freiwillige Arbeitseinsatz des Volksbundes Kriegsgräberfürsorge in diesem Jahr statt.

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Jessica Welt

Seit etwa drei Jahren lasse ich auf meinen Reisen einen GPS-Tracker mitlaufen und füge alle zurückgelegten Routen in diese Karte ein. Strecken, die ich auf dem Landweg zurückgelegt habe, kennzeichne ich orange, welche, die ich zu Fuß gelaufen bin in grün und die, die ich auf dem Wasser per Boot oder Schiff bewältigt blau.